Gegossene Pyramiden?

In der Diskussion um den Pyramidenbau tauchen ab und zu Argumente für eine "einfachere" Baumethode durch gegossene Steine auf. Anstatt diese mühsam in einem Steinbruch herauszuschlagen und die tonnenschweren Brocken in irrwitzige Höhen zu schleifen, transportiert man einfach, wie in meinem ersten Gedankeneperiment weiter vorne, handliche Portionen von Gesteinspulver und Wasser, vermischt dies auf der Baustelle und formt einen künstlichen Block.
Das klingt in der Tat erst einmal verlockend. Und erklärt auch schlüssig, warum spätere Pyramiden so klein und jämmerlich sind: Man hatte das Rezept für die künstliche Steinherstellung vergessen. Das folgert der französische Chemie-Professor Joseph Davidovits, selbst Besitzer einer Fabrik für Kunststein und der führende Experte für künstliche Pyramidenblöcke. Dessen Ideen werde ich mir nun ansehen.

Davidovits' Ideen

Davidovits ist der Ansicht, dass eine Bearbeitung von Steinen mit den den Ägyptern zugesprochenen Werkzeugen unmöglich sei. Die Steine seien zu hart und der von den Ägyptern für Meißel verwendete Kupfer zu weich. In seinem Buch The Pyramids - An Enigma solved von 1988 (zusammen mit Margie Morris) vertritt er die Meinung, dass der für die Ägypter abbaubare Kalk viel zu weich für Bauwerke sei, und der Rampenbau sei eh ein Ding der Unmöglichkeit. Also kommt nur ein künstlich erzeugter Stein in Frage, dessen Mischung er in seiner Firma unter dem Namen „Pharaonen-Beton“ verkauft. Seine Begründung klingt erst einmal logisch. Auf der Homepage seiner Firma Geopolymer (Stand August 2017) schreibt er:

„Diese Art von Fossil-Muschel-Kalk-Beton wurde gegossen oder in eine Form gestopft. Ägyptische Arbeiter suchten Vorkommen von relativ weichem Kalkstein, schlämmten ihn in Wasser auf und vermischten dann den schlammigen Kalkstein (inklusive der fossilierten Muschelschalen) mit gebranntem Kalk und Zeolit bildenden Materialien wie Kaolin-Ton, feinem Sand und ägyptischen Salz-Natron (sodium carbonate). Der Kalkstein-Schlamm wurde in Eimern transportiert und in Formen (hergestellt aus Holz, Stein, Ton oder Ziegeln) am Pyramidenrand gegossen, gestopft oder gerammt. Dieser zusammengefügte Kalkstein bindet durch eine geochemische Reaktion (genannt geopilimäre Zementierung) ab und härtet so zu widerstandsfähigen Blöcken aus." (übers. FD)

Mit der Methode spare sich gleichzeitig eine komplizierte Rampe, denn die Eimer kann man ganz bequem die Steinstufen der Pyramiden hochschleppen, dazu benötige man lediglich ein paar Leitern. Alle großen Pyramiden, so Davidovits, seien nach der Gussmethode errichtet worden, bis die Technik in der 5. Dynastie verloren ging, und Nachfolger nur noch Steine ihrer Vorfahren entwendeten. Der Untergang der Pyramidenbautechnik sei nur darin zu suchen.

Davidovits Hauptproblem ist, dass er relativ wenig Beweise seinerseits auffährt sondern mehr daran arbeitet, Modelle der Wissenschaft lächerlich zu machen um seine wenigen Belege in besserem Licht darstellen zu können. Seine Hauptbeweise sind die angeblich völlig gleichförmigen Pyramidenblöcke, deren absolut gleichmäßige Vermauerung, die großartige Präzision mit der alle Blöcke auf einen Zehntelmillimeter präzise aufeinander gefügt sind, und die Übersetzung einer neuzeitlichen Stele, der Hungersnot- oder Famina-Stele, die die Erfindung des Steinbaus zur Zeit des ersten Pyramidenbauers, Pharao Djoser in der 3. Dynastie belegen soll. Zudem untersuchte er Steine der großen Pyramide auf Hinweise auf Kunststein.

Unter der Lupe...

Als ich die Pyramiden 1997 zum ersten mal seit langer Zeit wieder sah, kamen mir Zweifel an seiner Ersthaftigkeit auf. Zu der Zeit hatte ich schon etliche Monate mit seiner Co-Autorin Margie Morris im Usenet diskutiert, die ständig drei Argumenten anführte, die mit herkömmlichen Methoden nicht zu erklären seien. Genauer sind das:

Diese drei Argumente können durch einen simplen Besuch bei den Pyramiden entkräftet werden. . Nachfolgend sehen Sie einige Bilder von Pyramiden aus der 4. Dynastie, die genau mit seiner Guss-Methode gebaut worden sein sollen:

Meidum innen Meidum Bresche
Fig. 1 - Unbearbeitete Blöcke im absteigenden Gang in Meidum
Fig. 2 - Unregelmäßige Blöcke unter Stufenmantel in Meidum

Blockstapel Knickpyramide Unregelmäßige Blöcke unter Verkleidung
Fig. 3 - Eindeutig lose aufeinander gestapelte Blöcke an der Knickpyramide in Dahschur
Fig. 4 - Unregelmäßige Blöcke an verwitterungsgeschützter Stelle, Knickpyramide

Unregelmäßige Blöcke, Cheops Mörtelfüllung Cheops
Fig. 5 - völlig unregelmäßige Verlegung an der Cheopspyramide
Fig. 6 - antike Mörtelfüllung zwischen den Blöcken, Cheopspyramide

Menkaure Lücke unten Menkaure Spalten in Bresche
Fig. 7 - Horizontale Lücke nahe der Spitze der Mykerinos-Pyramide
Fig. 8 - Blick in wettergeschützte Bresche nahe der Spitze der Mykerinos-Pyramide

Diese Bilder ersticken Davidovits' Hauptargument bereits im Ansatz: Weder sind die Pyramidenblöcke gleichmäßig gearbeitet, noch sind sie lückenlos verlegt. Ja, noch nicht einmal sein Argument der gleichmäßigen Steindicke ist zutreffend, die gleichmäßige Lagendicke wird, wie man auf den Bildern sieht, teilweise durch abenteuerliche Steinschichtungen erreicht. Zudem frage ich mich, wie zum Beispiel die Anordnungen wie in Fig. 5 überhaupt gegossen werden könnten.
Auch die unregelmäßigen Blöcke im Kernmauerwerk der Meidum-Pyramide (Fig. 2) und in der wettergeschützten Bresche der Knickpyramide (Fig. 3 & 4) widersprechen der Gussmethode Die lockere Schichtung der teilweise mannshohen Blöcke bei letzterer sollte eigentlich der Todesstoß für auf der Baustelle gegossene Blöcke darstellen. So was kann man nie und nimmer gießen. Wie man außerdem leicht sieht sind die Blöcke teilweise sehr unregelmäßig geformt. Holzverschalungen die Davidovits präferiert fallen damit aus.

Interessanterweise gibt es an der Cheopspyramide Blöcke, die nach Davidovits' Methode hergestellt wurden, nämlich bei den verschiedenen Restaurierungen, bei denen hauptsächlich gefährliche Lücken abgestützt wurden, wie den Block rechts oben in Fig. 9. Er weist die Eigenschaften auf, die man von Gusssteinen erwartet. Er „verschmilzt“ mit seinem Nachbarblock und dem Untergrund. Daneben hingegen sieht man die Originalblöcke mit zwischen ihnen herausquellendem antiken Mörtel.

Neue und alte Blöcke Cheops-Pyramide
Fig. 9 - Alte und neue Blöcke

Auf der Südseite der großen Pyramide wurden 1995 künstliche Blöcke vergossen, um eine dort im 19. Jahrhundert hinein gesprengte Bresche abzustützen, die Unterschiede sind im Vergleich mit einem anderen Abschnitt des Kernmauerwerks sehr deutlich zu sehen. Ich glaube, damit können wir dieses Thema abschließen.

Bresche
Fig. 10 – neue Steine in der Bresche
Kernmauerwerk weiter oben
Fig. 11 – Das gleichmäßige Kernmauerwerk weiter oben

Das leidige Transportproblem...

Davidovits ist der Meinung, dass der Transport von Steinblöcken in der notwendigen Zeit unmöglich ist. Um die Große Pyramide in den von Ägyptologen angenommenen Bauzeit von 20 Jahren fertigzustellen, hätten die Arbeiter alle 2 Minuten einen 2 1/2-Tonnen-Stein auf die Pyramide schaffen müssen. Dazu sei eine unermesslich große Anzahl von Arbeitern nötig gewesen. Er schreibt:

„Der Transport der Statue von Djehutihotep (1800 BC): 800 Jahre nach dem Pyramidenbau. Berechnungen die von der gezeigten Methode abgeleitet wurden zeigen, dass der Transport von Pyramidenblöcken mit Schlitten mindestens 52500 Männer benötigt, die alle gleichzeitig zusammenarbeiten müssen. Es wäre dennoch unmöglich, die Arbeiten durchzuführen. Diese enorme Anzahl von Männern wären nämlich auf der Baustelle Schulter an Schulter zusammengequetscht gewesen, auf einer Fläche so groß wie ein großes Sport-Stadium.“ (von seiner Homepage, übersetzt FD)
Transport Djehutihotep
Fig. 12 – Transport der Djehutihotep-Statue (Quelle: Wikimedia Commons)

Seltsam. Das Bild zeigt eine 64 Tonnen schwere Statue die von rund 200 Männern gezogen und geschoben wird. Setzt man das auf einen Pyramidenblock von 2500 kg um, wären knapp 8 Arbeiter pro Block nötig. Mit 52500 Arbeitern könnte man also 6500 Transportteams aufstellen, die in jeder Stunde mindestens 6500 Blöcke zur Baustelle bringen könnten – also fast ZWEI pro SEKUNDE. Benötigt wird aber nur ein Stein alle 2 MINUTEN. Mit seinen 52500 Mann kann man also 240 mal so viel befördern wie geforert. Man käme also auch mit einem 240'tel der Arbeiter aus, rund 220 Mann.
Auf meiner Pyramidenbau-Seite rechne ich mit konservativeren 20 Arbeitern pro Schlitten, aber auch hier wären 1000 Mann ausreichend, um den Materialfluss in Gang zu halten.
Wie um alles in der Welt kommt Davidovits also auf seine 52500 Mann???

Übrigens löst Davidovits' Idee das Transportproblem nicht, sie verstärkt es. Er geht ja von einer wassergesättigten Mischung aus, einem Kalkschlamm. Das bedeutet, dass pro Kilogramm "Trockengewicht" schätzungsweise noch mal 500 g Wasser mit auf die Pyramide geschleppt werden.
Auf meinen Pyramidenbau-Seiten zeige ich, dass es kraftsparender ist, eine Last zu ziehen als sie zu tragen. Ein 2 1/2-Tonnen-Block kann von 15-20 Leuten problemlos gezogen werden. Um diesen nach der Davidivits-Methode zu befördern, müssen aber 185 Mann mit je 20 Kilo auf dem Rücken die steilen Leitern hoch unterwegs gewesen sein. Für einen Stein. Satte zwölf mal so viel.

Die Anfertigung der Steine stellt ebenfalls ein Problem dar. 1993 unternahmen der Archäologe Mark Lehner und der Steinmetz Roger Hopkins ein Experiment, um die antiken Baumethoden nachzuvollziehen (NOVA – This old pyramid). Einer der Punkte war dabei die Steingewinnung: In einem Steinbruch bei Mokkatam, aus dem die harten äußeren Verkleidungssteine der Pyramiden stammten, brachen 14 Arbeiter 200 Blöcke nach traditionellen Fertigungsmethoden (also mit Picke und Meißel) aus dem Gestein. In nur 12 Tagen! Ein Arbeiter "schafft" also rund 1,2 Blöcke pro Tag! Ein aus ägyptischen Zeichnungen und Modellen überlieferter 6-Mann-Trupp könnte daher problemlos im Schnitt 2 Blöcke pro Tag brechen und transportbereit machen, ein Stein benötigt im Schnitt unter fünf Stunden reine Arbeitszeit vom Anriss im Steinbruch bis zum Einbau auf der Pyramide.

Die Gewinnungsmethode dabei war: Mit einer Picke wurde ein schmaler Gang in den Fels getrieben. so breit dass man mit einem Fuß drin stehen konnte und so tief wie der gewünschte Stein hoch sein sollte. So wurde der Stein rechts, links und hinten freigehauen. Der hintere Graben war dabei die Front des nächsten Steins. Anschließend wurden vorne Trennmeißel ins Gestein geschlagen, gleichzeitig wurde von hinten mit langen Holzstangen gehebelt. Da Kalk ein Sedimentgestein ist, lässt es sich relativ leicht horizontal spalten. Die Trennmeißel vorne erzeugten die benötigte Spannung, und nach einigen Schlägen kann man den gesamten Rohling relativ sauber vom Untergrund abhebeln. Normalerweise wurde nicht ein Einzelblock, sondern gleich eine ganze "Stange" für zwei oder mehr Blöcke abgelöst, die dann mit Perforationslöchern gespalten wurden. Auch diese Bearbeitungsspuren lassen sich, wenn man die Augen offen hält, überall an Pyramidenanlagen finden. Ach ja, die Steinbrüche, teilweise mit vorbereiteten Blöcken, findet man heute immer noch im alten Steinbruchareal südlich der Chephrenpyramide:

Vorbereiteter Stein Steinbruchspuren
Fig. 13, 14 - Steinbruchareal Giza

Das linke Bild zeigt einen bereits an 2 Seiten bearbeiteten und zur Trennung vorbereiteten Block von ca. 3 Metern Länge, ausreichend für 2-3 Cheops-Blöcke. Das rechte Bild ist besonders interessant: Es zeigt nämlich die Schichtgrenze zwischen weichem, schlechten Kalkstein oben und gutem, harten Kalkstein unten. Die Stege und Löcher sind Spuren abgebauter Blöcke! Interessant, denn Davidovits behauptet, die Ägypter hätten den harten, guten Kalk links liegen gelassen (da sie ihn nicht bearbeiten konnten), und nur den weichen Kalk zur Aufschlämmung abgebaut. Im übrigen schweigt er die vorhandenen Steinbruchgebiete einfach tot!

Aber gab es in den Steinbrüchen überhaupt genug Platz, um alle Steine zu gewinnen? Der südlich der Chefrenpyramide gelegene Hauptsteinbruch war L-förmig, mit den Maßen 400 x 200 m, er besaß also eine "Steinabbaufront" von 600 Metern. Gehen wir davon aus, dass 420 Steine pro Tag gewonnen werden mussten, und ein Arbeitstrupp 2 Blöcke pro Tag schaffte käme man auf 210 Arbeitstrupps a' 6 Mann. Alle 3 Meter hätte demnach ein Trupp werkeln müssen. Allerdings wurden die bis zu 20 m hohen Schichten in mehreren Ebenen abgebaut, schon bei 3 Abbauebenen wäre alleine in diesem Steinbruch Platz zur Genüge gewesen. Obwohl noch drei weitere Steinbrüche zum Abbau genutzt wurden, war selbst in diesem ausreichend Platz gewesen. Im übrigen haben wir nun auch eine Abschätzung über die Anzahl der Steinbrucharbeiter: Rund 1300!

Davidovits kann auch keinerlei befriedigende Lösung dafür bieten, warum die Ägypter nur so kleine Blöcke gossen. Gussverfahren haben eigentlich den Hauptvorteil, dass große Elemente auf einmal angefertigt werden können, und nicht nur Würfelchen im Meterformat. Davidovits Antwort in der Nova-Sendung: "Wir sehen nur die Außenseiten der Pyramide, wie es im Inneren aussieht, wissen wir nicht. Vielleicht wurden innen größere Elemente gegossen."
Stimmt nicht, man kennt zumindest Teile des Pyramideninneren, denn es wurden Grabräubergänge quer durch das Gestein getrieben, die ausnahmslos nur durch kleine Kalksteinquader führen. Die Mykerinos-Pyramide enthält zusätzlich noch eine Bresche fast bis zur Mittelachse; auch dort stößt man nur auf kleine Kalksteinblöcke mit Fugen.

Im übrigen hat Davidovits eine recht originelle Erklärung für einen Hauptkritikpunkt seiner These. Die Steine in den Pyramiden zeigen nämlich Schichten, die genau den Mergelschichten gleichen die man in den Steinbrüchen im Gestein findet. Aber, so Davidovits, seine Schichten seien ganz was anderes. Die großen Steine konnten nicht an einem Tag erzeugt werden, sondern benötigten mehrere Tage. Am Abend lagen dann Schichten frei, auf denen sich Flugsand ablagern konnte, dieser wurde am folgenden Tag durch neue Kunststeinschichten abgedeckt. Dieser Flugsand würde die Geologen narren da er eben aussähe wie eine Mergelschicht in Kalkstein ...

Die Materialien und Verfahren

In den letzten Jahren hatte ich etliche Steine aus den Steinbrüchen um das Gizaplateau herum mitgenommen. Davidovits behauptet ja, dass die von den Ägyptern verwendeten Steine "ganz locker" in Wasser aufzulösen wären. In der NOVA-Dokumentation schüttelte er ein paar ominöse Bröckchen mit Wasser in einer Tüte und behauptete, dass sich der lokale Kalkstein in 24 Stunden im Wasser auflöse.
Fein, meine Steine (3 aus dem Haupt-Cheops-Steinbruch, 2 aus dem nordwestlichen Chefren-Steinbruch und einer aus der Gegend des Mykerinos-Steinbruchs) weigerten sich hartnäckig dagegen, sich in Wasser zu lösen. Sie wurden noch nicht einmal weicher wenn sie angefeuchtet waren, im Gegensatz zu den Behauptungen von Davidovits. Das ist auch gut so, denn sonst wären Anlagen wie das Grabmal der Chentkaus, die aus Resten des Cheops-Steinbruchs herausgehauen wurden, schon längst in sich zusammengefallen.
Dumme Sache.
Im Film behauptet Davidovits ja, dass die Ägypter nur weichen Kalk abgebaut hätten, und die harten Bestandteile stehen ließen. Dazu hätten sie eine heute verschwundene riesige Deckschicht abgebaut und verarbeitet. Geologen sind da aber ganz anderer Meinung.
Das Geologenehepaar Klemm ist sich sicher: In der Cheops- und Chephren-Pyramide. Die Gegend war einer der vier Steinbrüche für die Cheops- und einer der drei Steinbrüche für die Chephren-Pyramide. Identifiziert wurden die Steinbrüche durch dei Gewinnung "chemischer Fingerabdrücke", der Messung der Verhältnisse bestimmter Spurenelemente im Kalk zueinander. Diese variieren so stark, dass selbst nur wenige 100 m auseinanderliegende Steinbrüche wie der Ost- und Südsteinbruch von Cheops bereits völlig andere Werte ergeben. (Klemm & Klemm, Stones of the Pyramids, 2010)
Merkwürdigerweise haben die getesteten Steine in den Pyramiden genau dieselben Fingerabdrücke wie das harte Hauptmaterial in den einzelnen Steinbrüchen. Wie kann denn das gehen? Müssten da nicht Abweichungen zu finden sein? Auf diese Fragen konnte Mrs. Morris leider keine Antworten geben.
Die einzige Möglichkeit, diesen nachgewiesenen Fakt zu erzeugen wäre, wenn Steine, die in den Steinbrüchen abgebaut und pulverisiert wurden, um sie dann „sortenrein“ auf die Baustelle zu schaffen.
Um einen durchschnittlichen Pyramidenblock gießen zu können, hätten dann erst einmal zwei bis drei Tonne Kalkstein kleingeklopft worden sein müssen, und das ist Knochenarbeit. Da Dünnschliffe der Pyramidensteine eine Zusammensetzung aus Bruchsteinen ausschließen (siehe Klemm & Klemm, Steine und Steinbrüche im alten Ägypten, Springer 1991), muss das Material bis zur Größe seiner Grundbestandteile - Kalzitkristalle und Mikrofossilien - pulverisiert worden sein, um das Zeug dann auf der Pyramide wieder zu dem zu machen, was man auch genauso aus dem Steinbruch hätte holen können. Alleine dies ist in meinen Augen eine absurde Vorstellung.
Um die Menge Stein für einen Block zu pulverisieren dürfte ein Arbeitstrupp mehrere Tage arbeiten müssen. Davidovits gibt selbst an, dass das zerkleinerte Material dann noch 24 Stunden aufgeschlämmt werden musste, um die Fossilientrennung zu erreichen. Aber damit ist es immer noch nicht getan: Ein Hauptbestandteil seiner Steinmischung war gebrannter Kalk. Ein schneeweißes, ätzendes Pulver. Da gibt es nur zwei Probleme:

  1. Die Ägypter verendeten bis zur ptolemäischen Zeit keinen gebrannten Kalk, sondern lediglich gebrannten Gips
  2. selbst wenn, dann sähe das Pulver nicht so aus wie unser Industriekalk

Ja, auch wenn es Manchem nicht gefällt: Es ist völlig unerheblich wie leicht gebrannter Kalk herzustellen ist oder nicht, und egal welche Kuluren gebrannten Kalk verwendeten: In Ägypten findet sich bis zur Ptolemäer-Zeit (um 300 v. Chr.) nicht die Spur einer Verwendung von gebranntem Kalk. Die Materialexperten Lucas und Harris schrieben dazu in ihrem ägyptologischen Standardwerk Ancient Egyptian Materials and Industries:

"Vor der Griechisch-Römischen Zeit wurden in Ägypten nur zwei Arten von Mörtel verwendet … nämlich Schlamm für sonnengetrocknete Ziegel und Gips für die Verwendung mit Steinen. … Den Autoren ist kein Fall für die Verwendung von Kalkmörtel oder gebranntem Kalk überhaupt bekannt, der vor der Zeit des Ptolemäus I. (323-285 BC) liegt.
Von dieser Zeit an, und in späteren Epochen, wurde er gefunden und von den wenigen analysierten Exemplaren zu urteilen unterschied er sich nicht von modernem Mörtel ."
Lucas/Harris S. 74, übers. FD

Alle analysierten Mörtel- und Spachtel-Proben aus 4 Jahrtausenden (Mörtel und Spachtel waren bereits in vordynastischer Zeit bekannt) bestanden aus gebranntem Gips. Gips ist Kalziumsulfat, und daher völlig verschieden von Kalciumkarbonat (das Endprodukt der Reaktion bei Aushärtung von Kalkmörtel) und wäre Geologen wie den Klemms sicherlich bei ihren Analysen aufgefallen.
Gipsmörtel- und Spachtel waren in Ägypten wegen des trockenen Klimas völlig ausreichend, und da Gips in Ägypten in mehreren riesigen Vorkommen abgebaut wurde ist dessen Verwendung logisch. In Europa ist Gips aber Mangelware, zudem ist das Klima selbst in Griechenland weit feuchter, sodass Gipsmörtel für Außenarbeiten sinnlos war. Die Griechen brachten daher die Technik des Kalkmörtels um 332 v. Chr. nach Ägypten - dem frühesten Zeitpunkt seiner Anwendung. Dazu Lucas/Harris:

„Der Grund, warum Gips dem Kalk vorgezogen wurde, obwohl Kalkstein sehr häufig im Land ist, noch häufiger als Gips und besser zugänglich war, war zweifellos dem Mangel an Brennstoff geschuldet. Kalk … benötigt viel höhere Temperaturen um gebrannt zu werden und damit mehr Brennstoff als Gips. Daher wurde bis zur Ankunft der Griechen und Römer, die beide gebrannten Kalk aus Europa kannten, wo Gips wegen des feuchten Klimas wertlos für die Anwendung draußen ist, Kalkbrennerei in Ägypten nicht praktiziert..."
Lucas/Harris S. 75, übers. FD

Zu den Temperaturen klären sie auf:

"Chemisch ist Gips Kalziumsulfat mit einem gebundenen Wasseranteil. Erhzt man es auf 100°C (212 F) verliert es ¾ des Wasseranteils und hat nun die Fähigkeit, sich wieder mit Wasser zu verbinden. Es formt dabei eine Substanz die aushärtet und letztlich sehr hart wird. Üblicherweise wird beim Gipsbrennen eine Temperatur zwischen 100°C und 200°C verwendet, normalerweise wird eine Temperatur von 130°C, die einfach zu erzielen ist. … Der Temperaturunterschied zur Erzeugung von gebranntem Kalk sollte erwähnt werden. … Um Kalziumkarbonat in gebrannten Kalk zu verwandeln braucht man eine Temperatur von über 900°C (1652F)
Lucas/Harris S. 79, übers. FD

Dumme Sache. Die These von Davidovits/Morris erfordert nicht nur die gelegentliche Anwendung von Kalkmörtel, sondern die massive Fabrikation von gebranntem Kalk im Bereich mehrerer 10000 Tonnen! Pro Pyramide! Absurderweise befindet sich aber Mörtel zwischen den angeblich gegossenen Polymer-Blöcken - Gipsmörtel Wenn die Ägypter schon gebrannten Kalk im Überfluß auf der Baustelle hatten, warum verwendeten sie Gipsmörtel ZWISCHEN den Blöcken?
Die verwendete Brennmethode hätte übrigens auch sichtbare Spuren hinterlassen. Die Ägypter brannten Gips, indem sie glühende Holzkohle unter den Gips mischten. Der entstehende Mörel ist daher dunkelgrau, wie man auf den Bildern oben sieht. Kalk wäre wahrscheinlich nicht anders hergestellt worden, die Pyramidenblöcke sähen daher nicht so hell aus wie sie sind.

Wie schon geschrieben, das sind die archäologisch belegten Fakten zur Verwendung von Kalk und Gips im alten Ägypten, ob man sie mag oder nicht, man kann sie nicht diskutieren.

Das Rezept

Davidovits behauptet, dass der Architekt der ersten Pyramide, Imhotep, das Rezept für Kunststein entdeckt habe. Alle Bauten der 3. und 4. Dynastie, von Djoser über Cheops bis Schepseskaf, seien damit gebaut worden. Dann ging das Rezept verloren, und alle späteren Pyramiden seien daher diese schauerlichen Trümmerhaufen die wir heute sehen.
Beweis sei eine Stele aus der Zeit der ersten Pyramide auf der abgeschiedenen Nilinsel Sehel

Hungersnot-Stele
Fig. 15 - Hungersnot-Stele auf Sehel bei Assuan

Da haben wir nun aber ein gewaltiges Problem. Davidovits argumentiert ja, dass die Pyramiden nach der 4. Dynastie so klein und schäbig wurden, weil das Betonrezept verloren gegangen sei. Wie kann das aber sein, wenn es auf einer offen einsehbaren Stele auf dem Gipfel einer damals gar nicht so abgeschiedenen, ja sogar populären Nilinsel mit Hunderten von Inschriften und Stelen anderer Pharaonen aus mehreren Jahrtausenden gibt, steht? Noch schlimmer: Die Stele wurde erst im 3.Jh. v. Chr. Angefertigt, 2300 Jahre nach der Zeit von Djoser. Wenn also das Rezept sogar dann noch bekannt war – wie konnte es da verloren gegangen sein?
Leider konnte Mrs. Morris auch auf diese Frage keine veröffentlichbaren Antworten geben...

Davidovits bringt eine Übersetzung der Stele, die allerdings wirklich nach einer Rezeptur klingt: (ebenfalls von seiner oben angegebenen Homepage, übers. FD). Die Stele ist in Spalten aufgeteilt, im Text unten mit (Col. nn) gekennzeichnet:

"Die Übersetzung führt uns in die oben genannten Stoffe (zur Steinherstellung, FD) ein:   Die Famina-Stele beschreibt die Erfindung des Baus mit Stein, die Djoser und Imhotep, den Erbauern der ersten Pyramide, der Stufenpyramide von Sakkara (2750 BC). Gemäß dieses Textes kam die Erfindung des Baus mit Stein dadurch zustande, dass verschiedene Minerale und Erze verwendet wurden, die als Chemikalien bei der Herstellung von menschengemachtem Stein, oder einer Art Beton eingesetzt wurden"

Diese Übersetzung sieht in der Tat nach einer Art Rezeptur aus, obwohl dort keinerlei Anleitung über Mischungsverhältnisse oder Ähnliches zu finden ist, als Anleitung also ungeeignet. Aber was bedeuten die vielen "..." im Text? Das sind Auslassungen. Oder zerstörte ursprüngliche Textteile. Aber was kann dort gestanden haben?
Glücklicherweise sind wir nicht auf Davidovits angewiesen um das zu erfahren, denn die Stele ist schon seit einem guten Jahrhundert übersetzt. Ins Deutsche: Schauen wir uns einmal die Textstellen genauer an. Hier ist erst mal der gesamte Text der besprochenen Kolummnen (Roeder, Günther, Urkunden zur Religion des Alten Ägypten, Jena, 1915:

Teil 1
Fig. 16 – Scan Roeder

Vergleicht man die Passagen aus Roeder mit denen von Davidovits, fallen eklatante Unterschiede auf:

Ganz eindeutig, wie viele Alternativ-Historiker vor ihm biegt Davidivits an den Quellen so lange herum bis es passt. Im Originaltext findet man keine Silbe über das Anfertigen von Kunststein, sondern lediglich über Steinbrucharbeiten.
Aber nein, man wies mich ja darauf hin, dass Davidovits erstmals Vokabeln übersetzt hat, die vorher noch nicht übersetzt waren, daher kämen die Unterschiede. Hm, ja aber laut Davidovits handelt es sich lediglich um den Namen von wenigen Steinen, die er interpretiert, die die Kontext-Veränderungen und Auslassungen nicht erklären. Zudem sind die Neuinterpretationen extrem zweifelhaft, schiebt er doch den Ägyptern Smaragde unter, die in Ägypten noch nie gefunden wurden, und die den alten Ägyptern auch nicht bekannt waren (s. Lucas/Harris, Jewellery).
Seit Roeder sind allerdings gute 100 Jahre vergangen. Was sagen denn moderne Ägyptologen zu den aufgeführten Gesteinen? Immer noch ratlos, oder bestätigen sie Davidovits? Ich nehme dazu Raine Hannigs Handwörterbuch, Band 2 (Wortschatz in Sachgruppen), S. 272-277 und betrachte die von Davidovits neu oder anders übersetzten Namen.
In der Tat gibt es nur drei neu übersetzte Steine bei Hannig: bchn den Davidovits gar nicht übersetzt und den Hannig als Grauwacke interpretiert, nmj den Davidovits zu verwittertem Granit macht und Hannig als Dolerit oder Speckstein übersetzt, und thm aus dem Davidovits das Kupfererz Chrysocoll macht (wozu auch immer man das zur Kalksteinherstellung braucht) und den Hannig als „Stein aus dem Gebirge bestehen“ sieht.

Knoblauch-Stein ist Arsen-Pyrit. Ein recht nutzloses Mineral, das in der Regel zusammen mit Goldadern vorkommt. Kostbar ist das Zeug nicht, und nutzbar auch nicht, außer man hat vor, jemanden zu vergiften, da beim Erhitzen giftige Dämpfe freigesetzt werden.
Die anderen beiden Steine konnte ich nicht finden, selbst Davidovits kann nur über sie spekulieren. Die Herleitungen seiner Übersetzungen sind übrigens auch ziemlich lustig, so behauptet er, „kr“ würde „schwach“ bedeuten (und bastelt so seinen schwach nach Knoblauch riechenden Stein zusammen). Hm, Hannig ist da anderer Meinung. Im Handwörterbucg Band 1 S. 885 f kann man folgende Bedeutungen finden: „Boot, kleines Schiff, Couch, der Große“. Komisch.
Es gibt noch geologische Gutachten, die ihne widerlegen, aber das ist nicht wirklich mein Fachgebiet und ich überlasse hier das Podium fachkundigeren Leuten. Für mich reichen die von mir persönlich gemachten Beobachtungen, um diese These ins Reich der Märchen zu verbannen.
 
Ach ja, sagte ich schon, dass Davidovits der Besitzer einer Kunststein-Fabrik in Frankreich ist, der eine Steinmischung unter dem Namen “Pharaonen-Beton” mit aggressiven Marketing-Kampagnen bewirbt? Honi soit qui mal y pense...

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Alle Bilder und Texte © Frank Dörnenburg