Steintransport horizontal

Das erste zu betrachtende Problem beim Bau der Pyramide besteht in der Beantwortung der Frage, ob es nur mit Muskeleinsatz überhaupt möglich ist, die notwendige Masse an Gestein in der geforderten Zeit von 20 Jahren von den Steinbrüchen zur Baustelle zu befördern. Dabei handelt es sich um schätzungsweise 6 Millionen Tonnen!
Alleine das sei unmöglich, wurde mit versichert, ohne dass sich ein Arbeiterheer auf den Füßen herumtrampeln würde. Prüfen wir das mal.

Ich gehe von einer durchschnittlichen Entfernung der Steinbrüche bis zum Ziel von einem Kilometer aus. Der Einfachheit halber gehe ich von einem ebenerdigen Transport aus, kompliziertere Strecken betrachte ich auf den Folgeseiten.
Dies hat noch nichts mit dem aktuellen Bau zu tun, denn statt tonnenschwerer Quader lasse ich die Arbeiter in diesem Gedankenexperiment nur handliche 20 Kilo tragen, zum Beispiel in einer Kraxe auf dem Rücken.
Mit 20 Kilo auf dem Rücken kann man halbwegs normales Fußgängertempo erreichen, sagen wir einmal 1,5 Stundenkilometer. Für einen Weg braucht der Arbeiter also 45 Minuten. Gehen wir von zwei Arbeitern aus, kann immer einer leer zurücklaufen und ein paar Minuten verschnaufen, bevor er sich wieder auf den Weg macht. Die Zwei schaffen also 20 Kilo alle 45 Minuten.
Um die 6 Millionen Tonnen zu transporieren, müssten unsere zwei Arbeitshelden rund 300 Millionen mal gehen, insgesamt 225 Millionen Stunden! Bei 10 Stunden am Tag also 25 Mio. Tage oder 61000 Jahre!
Das sieht auf den ersten Blick wie das Ende aller Baufantasien aus. Glücklicherweise aber auch nur auf den ersten. Denn es müssen ja nicht nur zwei Arbeiter herumlaufen, um die Menge in den geforderten 20 Jahren zu transportieren, braucht man (61000 / 20) = 3050 Arbeiter (nein, nicht 6100, denn ich bin von 2 Startarbeitern ausgegangen, damit immer einer auf dem Hin- und einer auf dem Rückweg ist; bei 3050 Arbeitern ist das eh immer der Fall).
3050 Arbeiter klingt nach einer Menge Platz. Diese verteilen sich aber auf insgesamt 2000 Meter weg, und auf 52900 Quadratmeter auf der Baustelle. Nimmt man eine Breite des Transportwegs von 4 Metern an (das entspricht gefundenen Rampenresten an einigen Pyramiden) verteilen sich die 3050 Arbeiter auf eine Gesamtfläche von bis zu 56900 Quadratmetern, somit hätte jeder Arbeiter im Schnitt 19 Quadratmeter Platz. Bis hierher also kein Showstopper in Sicht.

Tragen oder ziehen?

Steinsänfte
Fig. 1 – Hypothetische Steinsänfte

Natürlich bestehen die Pyramiden nicht aus kleinen 20-Kilo-Steinchen sondern aus Blöcken, die im Durchschnitt 2500 kg wiegen und rund einen Kubikmeter groß sind. Einen solchen Stein kann niemand alleine tragen. Und selbst mit vielen Leuten ist es schwierig, denn um die Traglast von 20 Kilogramm beizubehalten müsste man irgendwie 125 Mann an den Stein heranbringen. Das ginge möglicherweise mit einer Tragekonstruktion wie links gezeigt. Bei 8 Tragestangen müssten 16 Arbeiter an jeder Stange sein. Die Dimensionen eines solchen Transportzugs kann man sich leicht vorstellen – mindestens 20 Meter breit und 30 Meter lang. So etwas kriegt man keine Rampe hoch.
Ist das nun der Showstopper?
Nein, denn von Bildern der Ägypter wissen wir, dass die ihre schweren Lasten gezogen und nicht getragen haben. Auf Schlitten aus Holz, gezogen von Seilen. Allerdings wären 125 Männer an Seilen auch ein ziemlich langer Zug, den man auch kaum um Kurven kriegen könnte. Aber braucht man zum Ziehen einer Last wirklich dieselbe Kraft wir zum Heben? Nein, denn jeder weiß aus Erfahrung, dass es möglich ist, Lasten zu ziehen oder zu schieben, die man unmöglich tragen kann. Und das kann man sogar berechnen.

Kraft und Reibung

Klären wir erst einmal ein paar Begriffe, mit denen man dann viel besser umgehen kann.
 
Kraft ist nicht bloß ein Wischi-Waschi-Wort von dem es lediglich „viel“ oder „wenig“ gibt, sondern eine exakt definierte physikalische Größe, die in der Einheit Newton (N) gemessen wird. Um 1 Kilogramm Masse in einer Sekunde auf die Geschwindigkeit von einem Meter pro Sekunde zu beschleunigen braucht man exakt die Kraft von einem Newton! Die Physiker sagen; Die Kraft ist gleich Masse mal Beschleunigung (F = m * a).
Das Schwerefeld der Erde beschleunigt in Meereshöhe jeden Körper, den man fallenl ässt, mit einer Beschleunigung von knapp 10 m/s2, übt also eine Gewichtskraft von rund 10 N aus.
 
Reibung ist der große Störfaktor in der physikalischen Welt. Gäbe es keine Reibung, müsste man ein Kilogramm auf der Erde in der Waagerechten nur kurz mit 10 N anschieben und es würde sich auf immer und ewig mit einem Meter pro Sekunde fortbewegen. In der Realität kommen Objekte aber auch auf den glattesten Oberflächen irgendwann zum Stillstand. Auch hier wirkt eine Kraft.
Die Kraft, die angestupste Objekte zum abbremst, nennt man Reibungskraft, oder kurz Reibung.
Die für uns relevante makroskopische Reibung entsteht durch die Unebenheiten der sich berührenden Oberflächen. Diese Reibung ist spezifisch für bestimmte Materialkombinationen und kann zum Beispiel mit Federwaagen gemessen werden.
Für die uns interessierenden Materialien Holz und Stein beträgt der so genannte Reibungs-Koeffizient μ bei Bewegung (Gleitreibung) zwischen 0,2 und 0,3, ich verwende in künftigen Betrachtungen einen Mittelwert von 0,25. Die bremsende Kraft die auf ein Objekt ausgeübt wird ist die Gewichtskraft FN * μ, ein Kilogramm auf einer Holzunterlage wird also auf Schotter mit einer Kraft von 2,5 Newton gebremst.
 
Und das ist schon ein Teil der Lösung unserer Frage. Um einen Steinblock auf einem Schlitten zu ZIEHEN braucht man nur ¼ der Kraft die man einsetzen müsste um ihn zu HEBEN. Also 31 Mann statt 125 für 2 ½ Tonnen. Das klingt schon besser.
Und da man zum Befördern der Last nun nur ¼ der Kraft braucht, benötigt man zum Transport der 6 Millionen Tonnen auch nur noch ¼ der oben kalkulierten Männer, nur noch 750, um die vorgegebene Menge von Gestein in 20 Jahren zu verschieben.
Interessanterweise kann man ziehend oder schiebend mehr Kraft aufbringen als hebend, da man einmal den Körper selbst durch Vorbeugen als Kraftquelle nutzen kann – die Schwerkraft zieht ihn zu Boden und ein über die Schulter gespanntes Seil oder die schiebenden Arme übertragen diese Gratiskraft auf die Last – und sich zusätzlich mit den kräftigen Beinen abstoßen kann. Im Experiment konnte ich (untrainierter Nicht-Pyramidenbauer) recht locker dauerhaft mit 500 N ziehen, auf ägyptischen Reliefs sieht man sogar Transportszenen, in denen jeder Arbeiter 750 N aufbringen müsste.
Mit 20 Arbeitern auf 2,5 Tonnen ist man auf jeden Fall auf der sicheren Seite, das entspricht einem Kraftaufwand von 313 N pro Arbeiter.

Keine Seile in Ägypten?

Der Gründer der modernen Präastronautik, Erich von Däniken, ist allerdings der Meinung, zur Zeit der Pyramidenbauer habe es noch keine Seile gewesen. Das wäre für dieses Baumodell natürlich der absolute Showstopper. In seinem Buch Die Augen der Sphinx informiert er seine Leser:

Sind die tonnenschweren Blöcke mittels Seilen die Gerüstrampen hochgezerrt worden? Ohne Seile, da sind sich die Fachleute einig, ging gar nichts. Es muss sie wohl gegeben haben, obwohl niemand einen Eid darauf schwören kann. Auf einem Relief an der Grabwand des Gaufürsten Djehutihotep (um 1870 v. Chr.) ist dargestellt, wie hundertsiebzig Mann mittels Seilen eine Kolossalstatue durch die Wüste schleifen, und aus einem Dokument der Zeit Amenemhets I. (1991-1962 v. Chr.) werden Seile erwähnt. ... Als Beweis taugt all dies wenig, denn zwischen dem Bau der großen Pyramide und Amenemhet I. liegen gute fünfhundertfünfzig Jahre. ... So oder so: Ohne Seile bewegte sich auf dem Bauplatz »Cheops« nichts, man muss ihr Vorhandensein stillschweigend voraussetzen.[2]

Hm, Seile gehören zur ältesten Technologie der Menschheit, weit älter als das Rad. Älteste Spuren datieren auf 17000 v. Chr., und in Ägypten wurden erstmals Seile mit der heute noch verwendeten „Spinner“-Technologie gefertigt.[3]
Wie so oft in der Grenzwissenschaft kennt Herr von Däniken die elementare Literatur zum Thema nicht. Das Standardwerk zur Materialkunde in Ägypten ist das von Alfred Lucas bereits 1926(!) erstmals erschienene "Ancient Egyptian Materials", welches in Zusammenarbeit mit dem Chemiker J. R. Harris 1962 in seiner endgültigen Fassung unter dem Titel Ancient Egyptian Materials and Industries veröffentlicht wurde. Dort kann man über Seile folgendes erfahren:[4]

Und jetzt muss ich mal kräftig nörgeln:
Ich erwarte nicht, dass sich jeder in den Tiefen der Fachliteratur auskennt, aber jemand der Jahrzehnte lang Bücher über ein Thema schreibt, in denen er der Wissenschaft fehlerhafte und schlampige Arbeit unterstellt, sollte schon die Basis-Literatur dazu kennen, speziell wenn sie 27(!) Jahre vor dem Ägypten- und Pyramidenbuch Augen der Sphinx erschienen ist.
Wie schon so oft in der grenzwissenschaftlichen Literatur wird hier persönliche Unkenntnis zu einem Welträtsel hochstilisiert. Auch wenn das Standard-Argument kommt, man wolle ja keine Lösungen geben, sondern lediglich Fragen stellen, wäre es sinnvoll zu recherchieren, ob diese Fragen nicht schon längst beantwortet sind.

Witzigerweise hätte EvD die Frage selbst beantworten können. Er führt ja seit Jahren als Reiseführer organisierte Touren in Ägypten durch und war noch viel öfters alleine oder mit Freunden dort. Dabei wird er auch sicher schon einmal über den seltsamen Bau auf der Südseite der Cheops-Pyramide gestolpert sein. Das ist das Bootsmuseum, in dem seit 1982, also 7 Jahre vor der Veröffentlichung vor Augen der Sphinx eine der gefundenen Sonnenbarken des Cheops ausgestellt wird. Alleine in der Bootsgrube des Cheops fand man hunderte Meter sorgfältig angefertigtes Tauwerk, da das Schiff in einer für Ägypten typischen Flechtkonstruktion gefertigt war, die ohne Seile überhaupt nicht funktioniert hätte. Und diese sind auch im Bootsmuseum ausgestellt, hier zwei Bilder:

Seile
Fig. 2 – 4500 Jahre alte Seile
Seile und Knoten
Fig. 3 – Seile und Knoten

Aber selbst wenn sie Seile gehabt hätten, sie seien untauglich zum Pyramidenbau, „klärt“ von Däniken uns auf:

„Über Hanfseile sollen die Pyramidenbauer verfügt haben. Hanfseile? Das Material taugt bestenfalls für eine Zuglast von zwei bis drei Tonnen“[3]

Oh, auf einmal hatten sie doch Seile? Ist ja nicht das erste mal, dass Däniken innerhalb weniger Seiten seine eigenen Thesen uber Bord wirft. Aber er und andere Autoren stimmen überein: Naturfasern sind minderwertig.
Ein großer Irrtum. Die Reißfestigkeit von Naturfasern wie des Manilahanfs liegen im Bereich eines Stahldrahts, aber auch die den Ägyptern zur Verfügung stehenden Materialien müssen sich nicht verstecken. Die Reißfestigkeit einer Flachsfaser (die, wie oben gesehen, im Alten Reich die meistverwendete Faser gewesen ist) liegt bei 450-800 MPa[4].
MPa bedeutet "Mega-Pascal" und wird in Newton pro Quadratmeter angegeben. Das bedeutet, dass eine Einzelfaser von einem Quadratmillimeter Querschnitt zwischen 45 und 80 kg an Last aushält!
Ein Seil aus nur 100 Einzelfasern könnte somit beeits 8 Tonnen heben. Hanf und Palmfaser liegen rund 20% über diesem Wert und kommen bei bester Qualität in den Giga-Pascal-Bereich!
Leider gibt es so dicke Einzelfasern nicht, ein Seil kommt normalerweise leider nur auf rund 10% der Reißfestigkeit der Einzelfaser. Das liegt unter anderem daran, daß die Einzelfasern, die zu einem Garn versponnen werden, normalerweise recht kurz sind (wenige Zentimeter). Ein Flachsseil von einem Quadratmillimeter Querschnitt kann daher 4,5 bis 8 kg tragen. Eine 8 mm dicke Reepschnur aus Flachs hätte damit immerhin eine Tragkraft von 225-400 kg! Palmseile sind allerdings noch reißfester, da sie eine größere Faserlänge besitzen, für sie können wir 6-10 kg pro Quadratmillimeter ansetzen.
Kommen wir nun zu den ägyptischen Seilen: In den Steinbrüchen von Tura, wo der Kalk für die Pyramidenmäntel gebrochen wurde, wurden 1942 und 1944 große Mengen antiker Seile aus Papyrusfasern gefunden, die in zwei Stärken vorkamen: 1 1/4 Zoll (3,17 cm) und 2 1/2 Zoll (6,35 cm) stark[5]. Diese hätten also als Flachsseile[6] nach unserer obigen Betrachtung eine maximale Zugkraft von 3551-6314 kg (35-63 KN) bzw. 14251-25335 kg (142-253 KN). Zwei bis drei der dickeren Seile wären also für das senkrechte Heben selbst der schwersten Steine der Cheopspyramide ausreichend gewesen. Obwohl dies überhaupt nicht nötig ist, wie wir auf den folgenden Seiten sehen werden.

Wir sehen also, dass wir uns um die Seilfrage keine Gedanken machen müssen, und uns lieber um die wichtigen Punkte des Pyramidenbaus kümmern können.

Anmerkungen:
[1] Präastronautik, auch Paläo-SETI, ist eine Bewegung die davon ausgeht, dass die Menschheit in der Vergangenheit Besuch von Außerirdischen erhielt die in die Menschheitsentwicklung eingriffen. Dafür suchen sie Belege und versuchen wissenschaftliche Erklärungen die ohne sie auskommen zu widerlegen. Bislang allerdings erfolglos.
[2] Däniken, Erich; Die Augen der Sphinx, Bertelsmann 1989, S. 161 f
[3] Fronzaglia, Bill; The History of Rope, Classic Yacht Symposium 2006, S. 1 f
[4] Lucas, A. & Harris, J.R.; Ancient Egyptian Materials and Industries, E. Arnold 1962, S. 134 ff
[3] zum Beispiel Däniken, Sphinx S. 176
[4] Faserinstitut.de
[5] Lucas/Harris, S. 135
[6] Leider habe ich keine genauen Angaben zur Reißfestigkeit der Papyrusfaser gefunden, sie dürfte aber im Bereich zwischen der Flachs- und der Palmfaser liegen, und auch die Faserlänge von bis zu 2.5 Metern liegt im Bereich der Palmfasern.
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Alle Bilder und Texte © Frank Dörnenburg